Meine Erfahrungen im Wing Tsun

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Meine Erfahrungen im Wing Tsun

Als in mir der Wunsch aufkam, mich erstmalig mit der Thematik „Selbstverteidigung“ auseinander zu setzen
und nach entsprechenden Angeboten zu schauen, war mir der Begriff „Wing Tsun“ nicht geläufig. Wer an
Kampfsport oder an Kampfkunst denkt, dem ist bewusst, dass es viele unterschiedliche Arten und
Ausrichtungen gibt. Für welche dieser Sportarten man sich entscheidet, hängt in diesem Kontext
hauptsächlich von den eigenen Vorlieben und Vorstellungen ab. Da mein primärer Grundgedanke jedoch
weniger der sportliche Aspekt war, sondern einfach der Wille zur Verteidigung, war mir zu Beginn nicht in
vollem Umfang bewusst, dass es natürlich auch unterschiedliche Arten der Verteidigung gibt und dass dies
unmittelbar mit Kämpfen verbunden ist.

Wer sich schon einmal in Lebenslagen wiedergefunden hat, die für ihn persönlich heikel oder gar
bedrohlich, übergriffig und grenzüberschreitend waren, dem wird das Anliegen, sich irgendwie davor
schützen zu können, bekannt sein. Aber auch die bloße Angst vor derartigen Situationen kann ausreichen,
um sich hilflos zu fühlen. Viele Frauen kennen die Furcht vor Belästigung oder sexuellen Übergriffen. Tief
darin verwurzelt sind die Bedenken körperlich unterlegen zu sein und dadurch leichter in eine Opferrolle
gedrängt zu werden. Ich selber kenne die unterlegene Rolle aufgrund Nachstellung und Bedrohung aus dem
sozialen Nahbereich über einen längeren Zeitraum hinweg. Ein Umfeld, das eigentlich Schutz bieten sollte.
Ich kann somit aus meiner Sicht beurteilen, welche Folgen dies für das eigene Leben und die eigene
mentale Verfassung darstellt. Nicht immer braucht es körperliche Verletzungen, um jemandem Schaden
zuzufügen.

Meinen Weg zum Wing Tsun habe ich schließlich gefunden, da ich explizit nach Selbstverteidigungstrainings
für Frauen gesucht habe. Einer der ersten Treffer hat mich auf diese Seite und letztlich auch zu einem
konkreten Kurstermin über drei Stunden mit kompaktem Training geführt. Nach diesem Termin war mir
bewusst, dass jede Technik zur Selbstverteidigung mehr Routine, als nur ein einmaliges Training erfordern
würde. Zumindest ist dies der Fall, wenn man sich damit tatsächlich sicherer fühlen möchte. Das Angebot
probeweise zwei Wochen in das reguläre Wing Tsun Training reinschauen zu dürfen, habe ich
dementsprechend gerne angenommen.

Anders als bei dem Kompaktkurs für Frauen trainieren hier alle
zusammen. Jede Unterrichtseinheit folgt einem strukturierten Ablauf, beginnend mit Formtraining und dem
Üben von Bewegungsabläufen. In den darauffolgenden Partnerübungen werden diese Bewegungsabläufe in
Form der verschiedenen Techniken zur Anwendung gebracht. Letzteres war für mich zu gerade zu Beginn
mit einem Gefühl innerer Hemmungen verbunden, weil die Angst jemanden dabei zu verletzen ständig
präsent und obendrein an eigene Erinnerungen geknüpft war. Ich habe mich dennoch dafür entschieden,
einen Vertrag abzuschließen und regelmäßig zum Training zu gehen, um genau dieser Angst immer wieder
zu begegnen.

Die ersten Wochen stellten sich durchaus als anspruchsvoller heraus, als gedacht. Insbesondere die
Koordination verschiedener Bewegungsabläufe, wie z.B. Schrittübungen und Gleichzeitigkeit von Abwehr
und Angriff, waren kein Selbstläufer für mich. Hinzu kam das Erlernen der ersten Begrifflichkeiten und
Formsätze sowie das Verinnerlichen der Kraft- und Kampfprinzipien. Ich verglich mich mit anderen Schülern,
die bereits länger da waren. Dieser innere Vergleich zeigte mir in erster Linie auf, welche Arbeit und welche
Herausforderungen auf mich zukommen würden. Der eigene Ehrgeiz hat jedoch dafür Sorge getragen, dass
ich eine für mich selbst zufriedenstellende Basis schaffen zu wollte, von der aus ich mich weiterentwickeln
kann.

Bei der Nachbereitung des im Unterricht Erlernten haben mir dankbarerweise auch zahlreiche Videos
auf „YouTube“ weitergeholfen. Mit jeder Wiederholung wurde es ein bisschen einfacher bestimmte
Bewegungen vorzunehmen. Damit einhergehend versuchte ich mich auch weniger mit anderen zu
vergleichen und mich stattdessen mehr auf das eigene Tempo und die eigenen körperlichen
Voraussetzungen zu verlassen. Die ersten Erfolgserlebnisse kamen, als ich merkte, dass vieles sich mit mehr
oder weniger Geduld tatsächlich würde erlernen lassen können.

Mittlerweile bin ich circa ein halbes Jahr beim Training. Jeden, der Interesse hat sich mit Wing Tsun zu
beschäftigen, kann ich ermutigen, dass allein der Wille dranzubleiben und Dinge zu probieren eine gute
Gelegenheit ist, sich selbst besser kennenzulernen und einschätzen zu können. Wing Tsun schafft aus
meiner Sicht ein wachsendes Bewusstsein für die eigene Kondition, für potenzielle Gefahrensituationen und
für das innere Gefühl eben nicht hilflos zu sein. Es ist, wie viele Dinge im Leben, ein kontinuierlicher
Lernprozess. Ganz in diesem Sinne gibt es hin und wieder auch die Möglichkeit an Lehrgängen
teilzunehmen, welche die regulären Unterrichtseinheiten noch einmal intensivieren. Jedem steht es frei
hierbei auch die entsprechenden Prüfungen zur Absolvierung der im Wing Tsun vorgesehenen
Graduierungsstufen wahrzunehmen.
Ich selbst habe kürzlich den 1. Schülergrad erreicht und bin gespannt auf die weiteren Erfahrungen.